Flintenweib

Wenn ich Ihnen im Folgenden das „Flintenweib“ vorstelle, so steht hinter diesem äußerst plakativen und aggressiven Begriff das Phänomen von der Frau an der Waffe.

1. „Flintenweib“ ist ein auf deutscher Seite gebräuchliches Feindbild der sowjetischen Soldatin im Zweiten Weltkrieg. Es war Bestandteil der Propaganda und der Befehlsgebung in der Wehrmacht – mit mörderischer Konsequenz.

2. Der Begriff „Flintenweib“ äußert auch eine soziale Konstruktion des Weiblichen und Männlichen im Krieg.

Ich nutze im Folgenden Sprachbilder, historische Textquellen und vermeide Bilder der Erinnerung. Ebenso vermeide ich, nehme Distanz zur visuellen Inszenierung des „Flintenweibs“. Die Sprache, zumal die nicht öffentliche, private Sprache, die hier zu Wort kommt, soll als „Ort der Ankunft“ der Bilder und Vorstellungen gelten.

Zum ersten Mal tauchte der Begriff „ Flintenweib“ in der Literatur deutscher Freikorpsoffiziere auf, die während des russischen Bürgerkrieges auf der Seite der Revolutionsgegner kämpften. Ihre Begegnungen mit weiblichen Soldaten der Bolschewiki während der Kämpfe im Baltikum 1918 – 1920 verarbeiteten sie zu Sujets von Abenteuerromanen, die in den 1930er Jahren unter jungen Lesern sehr beliebt waren und hohe Auflagen erreichten.

Cordt v. Brandt, Baltikumer. Schicksal eines Freikorps, Berlin 1939:
„(…) Es ist bekannt, dass hinter den roten Linien Flintenweiber standen, die im Falle des Zurückweichens die Flüchtenden aufzuhalten und wenn die Flucht nicht aufzuhalten war, in die eigenen Leute hineinzuschießen hatten. Diese Flintenweiber waren grausame Furien , wie sie nur der Bolschewismus ersinnen konnte. Wenn sich in den Herzen eines Rotgardisten im Anblick der Leiden unschuldiger Menschen Mitleid regen möchte, diese Weiber waren vertiert und bar jedes menschlichen Gefühls (…)“

Die Vorstellungen und Phantasien von der „revolutionären Furie“, vom „roten Weib“ waren Angstbilder vor der Revolution – und entstanden aus den Erfahrungen des europäischen Bürgertums im 19.Jahrhundert. Sie wuchsen aus der Ohmacht vor dem Chaos. Nach der Niederlage des 1. Weltkriegs, dem Schock der Novemberrevolution 1918, prägte diese tiefe Erfahrung von Demütigung nicht nur das konservative Lager, sondern den größten Teil der Gesellschaft der Weimarer Republik. Bereits in den 1920er Jahren stand die bewaffnete Frau exemplarisch für das Schreckbild des Kommunismus, das später im nationalsozialistischen Bild des „bolschewistischen Untermenschen“ nur noch zugespitzt wurde.
Während des Zweiten Weltkrieg hatte dies verheerende Folgen für diejenigen, die als Kriegsgefangene, Zwangsarbeiterinnen oder durch andere Umstände in feindliche Hände gerieten, denn in der Vorstellung vom „Flintenweib“ steckte die Absicht seiner Vernichtung.

„(…) Während jedes gesunde Staatsgebilde bestrebt ist, die Frau von den Gräueln des Krieges fernzuhalten und ihre Opferbereitschaft nur in den Sanitätsdiensten weit hinter der Front ansetzt, versuchen die Sowjets mit Frauenbataillonen den Sieg zu erzwingen. Nur wer vertierten Flintenweibern gegenüber gestanden ist, wer die schrillen Aufmunterungsversuche an die männlichen Kampfgenossen vernommen hat, wer die hysterischen Hassausbrüche bei ihrer Gefangennahme miterlebt hat, kann begreifen , dass ein Staat, der sein kostbarstes Gut in dieser zügellosen Form auf den Schlachtfeldern opfert, dem Untergang geweiht ist (…)“
Aus dem Gefechtsbericht des Wehrmachts-Unteroffiziers Helmut K. Kurich vom 4. Oktober 1941

Die Hassbilder von russischen Flintenweibern – oft in einer sexualisierten Sprache vermittelt – fanden in der Heimat- und Frontpropaganda Verbreitung. Sie besaßen eine große Reichweite, sogar bis auf die andere Seite des Schützengrabens:

„(…)Die Deutschen haben von der Existenz unseres Regiments erfahren. Sie nennen uns „unsterbliche Juden“. Die Deutschen sagen, dass unser Regiment aus Straßenmädchen besteht. Dass man uns spezielle Spritzen gibt, von denen wir zur Hälfte unsere Weiblichkeit verlieren. Auf diese Art und Weise seien wir halb Frauen, halb Männer (…)“
Tagebucheintrag von Galina Dokutowitsch, Jagdfliegerin 125. Gardefliegerregiments der Roten Armee, 30. Januar 1943

In letzter Konsequenz wirkte sich die Vorstellung vom „Flintenweib“ fatal auf die Befehlsgebung und Behandlungspraxis von Kriegsgefangenen in den deutschen Einheiten aus. In einem geheimen Schreiben der Gestapo und den Sicherheitsdiensten vom 11. April 1944 hieß es:

„(…) Sofern den Lagern aus dem Operationsgebiet kriegsgefangene sowjetische Frauen zugeführt werden, ist wie bei allen aus diesem Gebiet neu eintreffenden sowjetischen Kriegsgefangenen bei der zuständigen Dienststelle der Geheimen Staatspolizei die sicherheitsdienstliche Überprüfung zu beantragen. Da gegen die aus dem Operationsgebiet abgeschobenen kriegsgefangenen Frauen im allgemeinen abwehrmäßige Bedenken bestehen, wird die sicherheitspolizeiliche Untersuchung in der Regel die politische Unzuverlässigkeit dieser Frauen ergeben. Derartige Frauen sind – wie andere politisch unzuverlässige sowjetische Kriegsgefangene – aus der Kriegsgefangenschaft zu entlassen und der Sicherheitspolizei zu übergeben(…)“

Hier fand ein Befehl Anwendung, der bereits vor dem Überfall auf die Sowjetunion - am 6. Juni1941 - durch das Oberkommando der Wehrmacht und des Heeres erlassen worden war. Er sah die Aussonderung politisch verdächtiger Kriegsgefangener und ihre Vernichtung vor. Bekannt wurde dieser Befehl als „Komissarbefehl“. Wie gegen die Politkomissare und Partisanen –zentrale Furchtbilder der Wehrmachtpropaganda – waren auch gegen bewaffnete Frauen aufgrund „abwehrmäßiger Bedenken“ eine sofortige Liquidierung die Folge. Wie viele weibliche Kriegsgefangene es tatsächlich gegeben hat und wie viele die Gefangenschaft überlebten ist heute nicht bekannt.

Historischer Hintergrund

Etwa eine Million Frauen der Roten Armee waren in der Zeit von 1941 – 1945 für den Krieg der Sowjetunion gegen Deutschland mobilisiert worden.

Der Einsatz von weiblichen Soldaten fand in dieser Zeit in allen Armeen – wenn auch nur in bestimmten Einsatzbereichen - statt, in der Roten Armee erfolgte er jedoch außergewöhnlich konsequent auch in Bereichen, die bisher ausschließlich männlich besetzt waren. Wir wissen heute, dass die Mobilisierung von Frauen nicht der Regelfall war, sondern angesichts der enormen Verluste der Roten Armee in den ersten Kriegsjahren als militärische Zwangsmaßnahme zu werten ist. In der offiziellen Befehlssprache nannte man dies eine „freiwillige Mobilisierung“. Zu keiner Zeit jedoch unterstanden Frauen in der Sowjetunion einer Dienstpflicht. Dennoch war die Bereitschaft unter den jungen Menschen, und so eben auch unter jungen Frauen, sich freiwillig für die Verteidigung der Heimat zum Militärdienst zu melden, recht hoch.
In Befehlen des Staatlichen Verteidigungskomitees, der höchsten befehlsgebenden Instanz während der Kriegszeit – die Mobilisierung war also Angelegenheit Stalins persönlich – wurden bestimmte Kontingente von bis zu mehreren zehntausend weiblichen Freiwilligen abgerufen, die dann in kürzester Zeit (ca.14 Tagen) ihren Bestimmungsort erreichen sollten. Mit der Durchführung war das Volkskomissariat betraut, das wiederum auf die Unterstützung des Komsomol – der Jugendorganisation der Partei – angewiesen war. Der Komsomol organisierte übrigens auch von Anfang an die Kurzlehrgänge für junge Frauen zur Vorbereitung von dringend benötigten Sanitätshelferinnen und in der Luftabwehr. Auch eine Schützenausbildung führte nach wenigen Wochen an die Front. Wer das 16. Lebensjahr vollendet und die 10. Klasse absolviert hatte, wurde eingezogen.

In der Zeit zwischen 1941 – 1944 entstanden auch spezielle Ausbildungsstätten. Mehrere Tausend Mädchen und Frauen durchliefen eine Ausbildung an Schulen für Scharfschützinnen. Auch wurden drei Fliegerregimenter für Frauen gegründet, von denen jedoch aus Mangel an weiblichem Nachwuchs bis zum Ende des Krieges nur eines „rein weiblich“ besetzt blieb. Was uns bis heute die Nennung einer absoluten Ziffer erschwert, die die Anzahl von Frauen an der Waffe benennen könnte, ist die Tatsache, dass die Infanterie- oder Luftabwehrausbildung nicht selten an den Frontabschnitten selbst stattfand: Fehlten einsatzbereite Soldaten, so wurden weibliche Kombattanten zum nächsten Kampfeinsatz hinzugezogen.

Aufgrund der unvorhersehbaren Entwicklungen an der Front in den ersten zwei Jahren des Krieges, dem schnellen Zurückweichen der Roten Armee bis zum Wendepunkt im Februar 1943 in Stalingrad, waren viele Frauen an die vorderste Kampflinie im Einsatz.

Im Laufe des Krieges baute die sowjetische Propaganda auch soldatische Heldinnen auf. Sie dienten der Motivation, der Steigerung der Kampfkraft unter den Truppen. Es waren neben einzelnen Sanitäterinnen vor allem Scharfschützinnen und Fliegerinnen, die Respekt und Verehrung erhielten. Dies lässt bis heute glauben, es hätte eine Vielzahl von Fliegerinnen und Scharfschützinnen gegeben. Und auch die post-sowjetische Erinnerung an den Krieg stützt sich weiterhin auf diesem Mythos. Die Zahl ist – nach den uns zugänglichen Quellen – jedoch im Vergleich zu den Einsatzbereichen Sanitätsdienst (ca 500 000), Luftabwehr (ca. 200 000) und Versorgung (ca 200 000) vergleichbar gering.

So trifft das unter den deutschen Soldaten damals verbreitete Bild des kaltblütigen „Flintenweibes“ auf eine historische Zahl von weniger als zehntausend weiblichen Schützen auf sowjetischer Seite. Scharfschützen erhielten – ähnlich wie Aufklärer – ihren Tagesbefehl als Einzelkämpfer, meist wurden sie zu zweit zum Einsatz geschickt. Weibliche Schützen an leichten und schweren Maschinengewehren waren immer Teil einer Infanterieeinheit. Geschlossene weibliche Einheiten fand man lediglich in der Luftabwehr, einzelne weibliche Züge wurden dann meist von männlichen Vorgesetzten befehligt. Die Existenz eines geschlossenen Frauenbataillons, wie sie in den Briefen, Tagebüchern und später in den Memoiren von Kriegsteilnehmern und in den Trivialromanen immer wieder erwähnt wird, kann also historisch nicht belegt werden.

Ich kehre noch einmal von der Realgeschichte zurück zu den Mythen, denn seit jeher existieren weibliche Kriegerinnen in unserer Vorstellungswelt. Über Jahrhunderte wird über die Amazonen berichtet , der Kult um antike Kriegsgöttinnen, die Lieder über weibliche Kriegerfürsten der Renaissance sind uns vertraut, wir kennen zahlreiche Legenden von kämpfenden Jungfrauen. Dabei verbindet diese Mythen eines – der radikale, nicht legitimierte Rollenwechsel, das kulturelle Tabu.
Waren Frauen in der realen Welt im Ausnahmezustand gemeinsam mit den Männern für die Verteidigung der Existenz notwendig, so stellte ihre Bewaffnung, ihre Gewaltanwendung immer auch ein Bruch mit der ihr sozial zugewiesenen Rolle dar. Und dies destabilisierte die Gemeinschaft. Blieben kämpfende Frauen jedoch ein Gegenstand der reinen Vorstellung, so wurden sie zum Objekt der Faszination, der sexuellen Anziehung.

Die nationale Propaganda trennt im Kriegszustand stets klar zwischen Front und Hinterland, Freund und Feind, Rettung und Untergang. Eine Frau im Krieg entsprach nur dann einem legitimen Bild, wenn sie an der Front rollenkonforme Aufgaben übernahm wie die der Krankenschwester, der Lebensretterin, der Märtyrerin. Mit ihrer realen Anwesenheit im Schützengraben verlor sie für die Männer ihre sexuellen Merkmale und konnte ausschließlich in deren Vorstellung als Jungfrau und als unberührbare Heldin bestehen. Jeder Ausbruch aus diesen Chiffren war ein Tabu. Das „Flintenweib“ steht exemplarisch für diese Grenzüberschreitung.

Die Angst vor der bewaffneten Frau, die in den Köpfen der Wehrmachtsoldaten präsent war, ist daher nicht nur ideologisch und politisch motiviert, oder ausschließlich einer sexuellen Ohnmacht geschuldet, sondern sie ist darüber hinaus kulturell legitimiert. Denn die Frau an der Waffe stellt die soziale Konstruktion von weiblich und männlich in allen Gruppen in Frage. Und so ist es letztlich nicht erstaunlich, dass sich „Frauenbattaillon“-Phantasie zeitgleich auch in Berichten sowjetischer Armeeangehöriger wieder findet.

Das letzte Beispiel weist auch darauf hin, dass sich - im extremen Spannungsfeld von Abscheu und Faszination - für Frauen an der Waffe keine Worte, keine Begriffe finden lassen:
Sie sind ein Phänomen des Ausnahmezustands. In Friedenszeiten verschwinden sie.
Auch die sowjetischen Soldatinnen wurden nach ihrer Demobilisierung von ihrer Regierung aufgefordert, über ihre Erlebnisse an der Front zu schweigen. Ihre Bilder haben sich nicht aufgelöst.

Aus dem Tagebuch des Unterleutnant der Roten Armee Vladimir Natanowitsch Gelfand vom 20. 3. 1945

„…Bei den Gefechten um die Stadt Bernlichen stand er plötzlich von Angesicht zu Angesicht einem Frauenbataillon des Gegners gegenüber, das einen Gegenangriff unternahm. (…) Die Frauen gingen in geschlossenen Schützenketten, eine, dann eine zweite, eine dritte, und schossen aus Maschinenpistolen (…) Unsere Soldaten empfingen sie mit Freude, Hass und Triumph. (…) Bitterlich klagte eines er jungen Soldaten-Mädchen wieder und wieder: und ihre schönen Augen leuchteten von smaragdenen Tränen der Reue…Aus der dritten Gruppe wurde die „Beute“ über die Häuser und Betten verteilt, und dort wurden einige Tage lang mit ihnen Experimente angestellt, die auf Papier nicht wiederzugeben sind….“
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